Mittelstrecke: Marius Probst greift wieder an

24.05.2022

Die Form ist enorm. „Ich kann nicht klagen“, sagt Marius Probst, „es läuft perfekt! 2022 habe ich noch keinen Tag pausieren müssen.“
Verletzungsfrei ist er durchs Frühjahr gekommen. „Für die 1.500 Meter war ich noch nie so gut vorbereitet wie diesmal.“ Der viermalige deutsche Meister, einmal im Freien und dreimal in der Halle, verfolgt
große Ziele. „Ich möchte mich für die WM in Eugene und die EM in München qualifizieren“, verkündet er voller Zuversicht, „wobei der Fokus mehr auf München liegt, da man sich als Deutscher bei einer Heim-EM
besser präsentieren und ein bisschen Eigenwerbung betreiben kann.“
Neun Stunden, so Probst (PB: 3:35,88 Minuten in Braunschweig 2021), beträgt der Zeitunterschied zwischen Europa und Eugene. „Welcher Nicht-Leichtathletik-Fan steht schon nachts auf, um sich unsere
Wettkämpfe im Fernsehen anzuschauen? Viele sind das nicht.“
Die Olympischen Spiele in Tokio 2021 hatte er knapp verpasst, obwohl ihm in Tübingen die zweitbeste Zeit seiner Karriere gelungen war. Doch seine 3:36,59 Minuten reichten leider nicht aus. Die Normen in dieser
Saison lauten 3:35,00 Minuten (WM) und 3:36,00 Minuten (EM). „Das sind Zeiten, die ich normalerweise rennen muss. Deshalb will ich sie möglichst schnell abhaken“, betont Probst, „damit ich Ruhe habe.“ Im
vergangenen Jahr hetzte er innerhalb von vier Wochen von einem Wettkampf zum nächsten, ohne das Tokio-Ticket einzulösen. „Damals hatte ich auch heftige Achillessehnenprobleme.“ Mittlerweile meldet die
Sehne keine Schmerzsignale mehr. Toi, toi, toi. „Ich hoffe, dass beide Normen im Juni fällig sind.“ Probst, 2017 U23-Europameister über 1.500 Meter in 3:49,06 Minuten, möchte Planungssicherheit haben.
Ein 1.500-Meter-Rennen steckt ihm schon in den Beinen. „Nicht ganz“, berichtet er von seinem Missgeschick, „denn nach 1.100 Meter wurden mir die Beine weggezogen.“ In San Juan Capistrano, eine 36.000
Einwohner zählende Stadt im US-Bundesstaat Kalifornien, wo sich der Dortmunder Mohamed Mohumed über 5.000 Meter im Sog von Jakob Ingebrigtsen sensationell auf 13:03:18 Minuten steigerte, knallte Marius
Probst nach einem Gerangel auf die Kunststoffbahn. „Ärgerlich“, denkt er an seinen Crash, „dabei habe ich mir die Schulterblätter und den Brustkorb geprellt, alles auf der linken Seite.“ Auch sein Oberarm ist
lädiert. „Der tut noch immer explizit weh.“ Probst vermutet eine leichte Blockade. „Mehrmals war ich bereits beim Physio.“ Dass die „Tapete“ an Ellbogen, Knie und Schienbein ab ist, erwähnt er nur am Rande.
Marius Probst, „der Bruchpilot“, wie ihn einige aufziehen, ist glimpflich davongekommen. Ja, er hatte Glück im Unglück. „Ich merke den linken Arm auch weiterhin, doch Tempoläufe kann ich schon wieder
absolvieren.“ Also alles halb so wild. An diesem Wochenende steht die lange Laufnacht in Karlsruhe an. Allerdings nicht über 1.500 Meter, seine Spezialität, sondern über 800 Meter, eine Unterdistanz. „Für mich
wahrscheinlich zu kurz“, meint Probst, „davor habe ich ein wenig Bammel.“ Seine PB (1:47,56 Minuten in Kortrijk/Belgien 2018) sei nicht so flott. „Andererseits sind die 800 Meter ideal, um Tempohärte zu
bekommen.“ Sieben Tage darauf startet er in Oordegem in der belgischen Provinz Ost-Flandern, ein zweites Mal über 800 m, um optimal gewappnet zu sein für seinen Auftritt am 3. Juni in Bydgoszcz.
Der 1.500-er in San Juan Capistrano war der Abschluss eines mehrwöchigen Trainingslagers in den USA, das der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) organisiert hatte. Vom 18. März bis 9. Mai
weilten die Kaderathleten in Flagstaff, einem Ort in 2.100 Meter Höhe in Arizona. „Da haben wir hervorragend trainieren können.“ Im Schnitt hat er allwöchentlich 11 bis 13 Einheiten bewältigt mit Rationen von 145 bis
150 Kilometer. „Ab jetzt gehe ich runter auf 100 Kilometer“, präzisiert Marius Probst, „im Juni werden es 60 bis 70 Kilometer sein, weil dann Wettkampf auf Wettkampf folgt.“ Da ihn der Sturz in seinen Plänen nicht
zurückgeworfen hat, ist er hochzufrieden mit seiner aktuellen Verfassung. „Im Moment bin ich zwar etwas beeinträchtigt“, gibt Probst ehrlich zu, „doch ich mache mir da keinen Stress.“ Zumal er nicht aus
dem normalen Trainingsbetrieb herausgerissen wurde, was für ihn das Wichtigste ist.
Der ehrgeizige Mittelstreckler, der im Januar mit Markus Kubillus, seinem Coach beim TV Wattenscheid 01, für vierzehn Tage in Monte Gordo/Portugal überwinterte, hat sein Studium derzeit heruntergefahren.
„Ich habe nur wenige Kurse und werde im Sommer oder Herbst mit der Bachelorarbeit loslegen“, blickt er voraus, „du kannst nur einer der Besten werden, wenn du dich auf den Sport konzentrierst, gerade als
Läufer, der sehr viel Zeit investieren muss. Ansonsten bist du nicht vorn dabei.“ Probst, der angehende Grundschullehrer, der an der Technischen Universität (TU) Dortmund studiert, ist optimistisch, dass er
seinen Kumpel, den Marathonläufer Tom Gröschel, mit dem er sich in Bochum City eine Wohnung teilt, zur WM nach Eugene begleiten wird.
Danach folgt München, wo er ebenfalls mitmischen will. In diesen Tagen muss Marius Probst ohne seinen Mitbewohner auskommen. In der Küche steht er nun allein an der Herdplatte. „Mit dem Kochen tu ich mich nicht schwer“, sagt er und lacht, „das macht mir sogar richtig Spaß.“ Abends, wenn die harte Trainingsmaloche vorbei ist, bruzzelt er die schönsten Sachen und tischt auf. Probst muss auf sein Gewicht ohnehin nicht achtgeben. Bei 1,83 Meter Körpergröße bringt er ganze 67 Kilo auf die Waage.

Das Interview führte Uli Hörnemann.