Stadtwerke Halbmarathon 2019: Wenn Laufen zum Lebensretter wird

29.10.2019

Als beim Stadtwerke Halbmarathon nach zwei Stunden 16 Minuten und 50 Sekunden eine Dame mit der Startnummer 517 das Ziel erreichte, haben wohl nur wenige Zuschauer geahnt, was in der Läuferin im weißen T-Shirt mit der Aufschrift „Laufen gegen den Krebs" innerlich vorging. Hinter Stefani Toelle lag mehr als nur ein Halbmarathon. Für sie schloss sich ein dunkles Kapitel. Ein Kapitel, in dem es buchstäblich um Leben und Tod ging.

Schockdiagnose Burstkrebs

„Im Februar 2018 wurde bei einer Vorsorgeuntersuchung ein schnell wachsender Tumor in meiner rechten Brust entdeckt“, blickt Toelle zurück. Der Schock saß besonders tief, da die Krankheit nicht zum ersten Mal mit voller Wucht in ihr Leben trat: „Als ich die Diagnose bekam, brach meine Welt zusammen. Denn schon meine Mutter ist viel zu früh an Krebs gestorben und es hat mit der gleichen Diagnose wie bei mir angefangen. Sie starb als ich noch ein Kind war.“ Die leidenschaftliche Läuferin blieb nach dem erneuten Schicksalsschlag ein weiteres Mal stark. Ihr war sofort klar, dass sie der tückischen Krankheit die Stirn bieten wollte, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mutter, egal wie lang und schwer der Weg sein würde. Die Chemotherapien begannen, es folgten drei Operationen, und Schmerzen wurden zum ständigen Begleiter. „Die Chemo habe ich nicht gut vertragen. Ich war froh, wenn ich wenigstens alleine stehen konnte“, erinnert sich Toelle, die noch heute unter den Folgen leidet und von Narben gezeichnet ist. Ihre Haarfarbe hat sich durch die radikalen Eingriffe verändert und die Nervenschäden an Händen und Füßen setzen ihr bis heute stark zu. Ihrer Leidenschaft – dem Laufen – konnte sie während der Therapie gar nicht mehr nachgehen. Ein schwerer Schlag, war doch das regelmäßige Laufen eine wichtige Konstante in ihrem Leben. „Es half mir, mein Leben besser zu meistern. Beim Laufen kann ich sehr gut nachdenken, mich auspowern und alles Schlechte des Alltags auf der Strecke lassen“. Dass ihr Hobby gar zum Lebensretter wurde, konnte sie vor der Diagnose noch nicht absehen. „Die Ärzte erklärten mir, dass mein Herz durch das Laufen stark genug war, die Krankheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu überleben und die Chemo besser zu verarbeiten. Das ist leider nicht immer so und auch nicht selbstverständlich“, sagt Toelle.

Großes Ziel Halbmarathon

Auch während der schweren Therapiezeit, als sie körperlich am Boden war, schöpfte Stefani Toelle aus dem Laufen neue Kraft. „Am tiefsten Punkt meiner Krankheit habe ich mir geschworen, dass ich - wenn ich diesen Kampf gewinne – noch einmal einen Halbmarathon laufen werde.“ Also setzte sie sich das Ziel. Eine Trotzreaktion. Jetzt erst recht! Für sich selbst, ihre verstorbene Mutter und alle anderen, die dieser Krankheit ausgesetzt sind. Je weiter Toelles Genesung mit großer Unterstützung ihrer Freundin Claudia voranschritt, desto mehr nahm der Plan Konturen an. „Ich habe nach der Chemo mit kleinen Spaziergängen im Park angefangen und bin von Bank zu Bank gelaufen“, blickt Stefani Toelle zurück. „So habe ich mir langsam die Kraft zurückgeholt. Ich habe nach keinem Rückschlag aufgehört, an mein Ziel zu glauben.“

Comeback ins Leben

Mit eisernem Willen und von ihrem Ziel angespornt meisterte sie die steigenden Trainingsbelastungen und weiteren Therapiemaßnahmen, bis sie am 1. September tatsächlich mit hunderten weiteren Läufern am Start des Stadtwerke Halbmarathons in der Bochumer City stand. Auf ihrem „Laufen gegen Krebs“-Shirt stand ein Name: Monika. Der Name ihrer Mutter. Selten steckte in sechs Buchstaben wohl eine solche Bedeutung. Selten konnten sechs Buchstaben so beflügeln. Stefani Toelle meisterte die 21,097 Kilometer durch Bochum – eineinhalb Jahre nachdem sie die Krebsdiagnose erhielt. „Das war der härteste Lauf meines Lebens, aber ich habe jeden Schritt genossen. Während des Laufs habe ich alles nochmal in Gedanken durchlebt“, erinnert sich Toelle. „Ich habe geweint und gelacht und war so dankbar, dass ich das erleben durfte. Der Lauf war mein Comeback ins Leben.“ Aus dem Wechselbad der Gefühle zwischen Wut, Trauer, Liebe und Hoffnung zog Toelle die Kraft, das Rennen durchzuziehen. Eine Wadenzerrung bei Kilometer 19 zwang sie dazu, die letzten Kilometer humpelnd zurückzulegen. Doch in ihren Gedanken war sie längst woanders – bei ihrer Mutter. „Heute weiß ich, dass sie einen noch viel härteren Kampf zu führen hatte, den sie leider verlor. Ich kenne jetzt den Weg, den Schmerz und das Leid, das damit verbunden ist. Ich habe mich ihr noch nie so nah gefühlt. Ich trug ihren Namen mit Stolz auf meinem Rücken und wollte so an eine verdammt starke Frau erinnern“, erzählt Toelle, die den Lauf auch als Aufforderung an andere vom Krebs betroffene Menschen versteht. „Ich möchte allen Betroffenen raten: Glaubt an euch! Nutzt die Gefühle, die in euch sind und lasst sie raus. Das ist, was uns Kraft gibt. Und ganz wichtig: Nehmt die Hilfe eurer Lieben an, kämpft gemeinsam und seid füreinander da. Die Menschen um uns herum leiden nicht weniger, wenn auch anders und fühlen sich oft hilflos. Auch sie sehen die Erfolge und schöpfen daraus Kraft und Hoffnung.“

Stefanie Toelle beim Stadtwerke Halbmarathon Bochum (Foto: privat)