U18-EM 2015: Ziel: Halbfinale

03.07.2015

Keshia Kwadwo beschäftigt sich überhaupt nicht mit der Konkurrenz, Florian Colon Marti dagegen schon – die beiden Sprinter sind die Wattenscheider Vertreter bei den World Youth Championships, den U18-Weltmeisterschaften, vom 15. bis 19. Juli in Cali, Kolumbien.

„Ich kann mir keine Meldelisten angucken“, sagt Keshia Kwadwo, „sonst drehe ich völlig am Rad.“ Würde die Wattenscheider 100-Meter-Sprinterin den Blick in die Listen wagen, würde sie große Augen machen. Da sind in der Weltspitze vor allem die fünf Amerikanerinnen, von denen die schnellste, Candace Hill, Kwadwo mal locker sechs Zehntel auf ihrer Paradestrecke abnimmt. 10,98 Sekunden ist die US-Amerikanerin schon gelaufen. Kwadwo bietet als überragendes deutsches Talent derzeit eine Bestzeit von 11,60 Sekunden an. Die Favoritenrollen sind also klar verteilt für Cali.
Mit der Rolle der Außenseiterin muss sich Kwadwo erstmal anfreunden. Jahrelang gab es keine Athletin, die in einem Lauf gegen die schnelle TV-01-Flitzerin mit ghanaischen Wurzeln bestehen konnte. Kwadwo gewann im U16-Bereich einfach alles: Sie wurde U16-Einzelmeisterin, gewann mit der Staffel bei der U16 und auch bei der U18 und knackte obendrein auch noch den Jahrzehnte alten deutschen Altersklassenrekord. Jetzt sieht Kwadwo auch mal die Fersen der Konkurrenz. Doch damit kann sie leben. „Es ist meine erste internationale Meisterschaft. Ich will hier Erfahrung sammeln. Man darf auch nicht zu hohe Erwartungen haben.“
Die Erwartungen, die sie im Estadio Pascual Guerrero hat, lauten so: „Es wäre schon, wenn ich wieder eine Bestzeit laufen kann. Die Bedingungen werden, glaube ich, ganz gut sein. Und wenn ich ins Halbfinale komme, bin ich zufrieden.“ Kwadwo tritt im Vorlauf am 16. Juli um 17.30 Uhr deutscher Zeit an. Das Halbfinale wäre daraufhin um 1.10 Uhr nachts. Schafft sie das Unglaubliche, dürfte sie um 3.05 Uhr noch einmal im Finale ran. Doch damit rechnet sie selbst nicht.
In den vergangenen Wochen gab es überall nur ein vorherrschendes Thema in ihrem Umfeld: den WM-Start. „Ich bin schon ziemlich aufgeregt. Das ist nicht mal eben nach München fliegen. Normalerweise bin ich nicht so nervös, außer wenn es ernst wird, dann steigt die Nervosität.“ Tipps hat sich der Schützling von Trainer Slawomir Filipowski in der Familie geholt: bei Schwester Yasmin, die schon Erfahrungen mit internationalen Rennen gesammelt hat: „Sie meint, ich soll locker bleiben und das Gefühl haben, wie bei jedem anderen Wettkampf auch, und mit Freude dabei sein.“ Dabei steht für Keshia Kwadwo jetzt schon fest: „Es wird eine ganz andere Atmosphäre.“

Auch 400-Meter-Ass Florian Colon Marti fährt zur WM. Im Gegensatz zu seiner Trainingskollegin hat der Wattenscheider noch keinen Deutschen Meistertitel auf dem Konto, hat keinen Rekord – aber das WM-Ticket in der Tasche. „Bei meinem ersten Wettkampf bin ich 49,30 Sekunden gelaufen. Da dachte ich schon, ich kann mir die WM abschminken. Da fehlte über eine Sekunde. Ich hatte noch nicht mal eine 48 vorn“, denkt Colon Marti an den Saisoneinstieg zurück. Doch der Wattenscheider legte mächtig zu und machte einen Leistungssprung: 47,81 Sekunden – plötzlich hatte er die Norm. Und am 6. Juli fliegt er mit dem DLV-Team nach Florida, wo sich die Athleten an die Zeitumstellung anpassen sollen. Dann geht es weiter nach Kolumbien. Am Dienstag ist schon die Kluft der Nationalmannschaft angekommen. Die Vorfreude auf das Saisonhighlight steigt.
Anders als Keshia Kwadwo guckt Colon Marti sehr wohl in die Listen und weiß daher, mit wem er es zu tun bekommt – und dass er bei Spitzenmann Christopher Taylor aus Jamaika wohl nicht mithalten können wird. „Die laufen da vorne 45er Zeiten! Da muss ich mir keine Hoffnungen auf das Finale machen. Ich denke realistisch.“ Aber weil der Wattenscheider, der aufgrund seines spanischen Nachnamens vom Stadionsprecher fälschlicherweise auch schon mal mit „Martin Florian Colon“ oder „Marti Colon“ angekündigt wird, die Ergebnisse der Vorjahre studiert hat, wagt er auch eine Prognose: „Wenn ich meine Zeit wiederhole, könnte ich theoretisch ins Halbfinale einziehen.“ Das ist das erklärte Ziel von Florian Colon Marti. Der Vorlauf ist am 15. Juli um 18.30 Uhr (MESZ). Zieht er dann in das Semifinale ein, dürften seine Fans am 17. Juli bis um 0.40 Uhr wach bleiben. Auch wenn es sportlich unwahrscheinlich ist, würden wohl viele aus Verein und Freundeskreis auch für seinen Finallauf aufstehen, am 18. Juli, morgens um 3.25 Uhr.
Sein größtes Vorbild trifft er übrigens jeden Tag. Es ist Esther Cremer, Colon Martis Trainingspartnerin. „Sie versucht, ihre Erfahrung auch weiterzugeben. Ihre Anwesenheit im Training motiviert schon“, sagt Colon Marti, der nach den Sommerferien in der Jahrgangsstufe zwölf das Abitur attackiert. Aber vorher attackiert er in Cali.